Zum ersten Mal im Paradies

Es gibt ein Paradies auf Erden, aber nur für Motorradfahrer. Es befindet sich zwischen England, Irland, Wales und Schottland und trägt den Namen «Isle of Man».

Schon im Juli 1961 und dem Studium einer «West-Zeitschrift mit dem Namen «Das Motorrad», stand mein Entschluss unumstößlich fest:

Dort musst du unbedingt mal hin!

Der besagte Bericht war von einem Mann, mit dem Namen «Klacks» geschrieben worden, umfasste vier Doppelseiten und war faszinierend für mich. Allein die Beschaffung der Zeitschrift wäre heute einen gesonderten Artikel wert, denn nur mein Freund «Friedel» Kohlar konnte durch seine Tätigkeit an der TU-Dresden in den «Genuss» kommen, dass wir diese Zeitschrift begrenzt für eine Nacht aus der Bibliothek der TU «entfernen» konnten. Wenn das schief gegangen wäre, hätte Friedel auf alle Fälle seinen Arbeitsplatz in der TU-Dresden verloren. Alles ist gut gegangen und ich kann heute nur noch darüber lächeln, denn wie hätten wir damit jemanden Schaden können. Möglich war es eigentlich nur, weil die TU-Dresden mit der TU-München einen Partnerschaftsvertrag über den Austausch von Fachzeitschriften hatte, der natürlich am 13.August 1961 abrupt endete.

Mit dem Mauerbau endete für mich auch erst mal der Traum vom Besuch auf der Isle of Man und das ganze sage und schreibe 28 (!) Jahre. Als am 9. November 1989 dieses Ulbricht-Bauwerk endlich einstürzte, war aber der Gedanke und der Traum immer noch da und spukte durch meinen Kopf.

Aber eine Umsetzung des Traumes zur Isle of Man zu reisen, musste noch bis zum 22. August 2014 warten. Dann endlich waren alle Dinge so geregelt, dass ich die Reise ins ersehnte Paradies antreten konnte und es war die Reise ins Paradies. Da mir irgendwie die ganze englische Art und Weise ans Herz gewachsen ist, kam es mir so vor, als ob ich nur für längere Zeit mal eben nicht da gewesen bin. Ziemlich spät, so gegen 22.30 kam ich mit dem Taxi vom Flughafen Ronaldsway in Douglas an und das « Check In» ins Hotel Ellan Vannin gestaltete sich schon ganz schön schwierig. Da ich aber vorher mit dem Besitzern Pauline und Paul am Telefon gesprochen hatte, warteten sie auf mich und ich konnte müde ins Bett fallen.

Der folgende Samstag war die Aufregung pur, denn einer der ersten Bekannten die ich im Fahrerlager traf, war kein geringerer als der achtfache Weltmeister Phil Read. Als ich ihm das Stichwort «Lückendorf» sagte, war die Erinnerung sofort wieder da und er rief ganz laut:

The Hotel in the high water!

Wir waren ja 2010 im Hotel Riedel in Zittau von abends 19:00-02:00 Uhr vom Hochwasser eingeschlossen und die Ehrengäste Jim Redman und Phil Read mussten mit uns dort ausharren. Also die Freude war ehrlich und er brachte mich sofort zum Duke-Marketing, wo er mir eine Freikarte für die Ehrentribüne «besorgte». Auf der Tribüne war ich der wohl am schlechtesten angezogene Besucher, denn mit Jeans und Lederjacke und ohne Mütze war es da nicht auszuhalten. Da der Start der Klasse bis 350 ccm bevorstand, habe ich tapfer gegen Wind und Wetter gewehrt, als aber der letzte Starter auf die 60,2 Km lange Runde geschickt wurde und er der neunzigste (90) war, konnte mich niemand mehr halten.

Erst im Hailwood-Welcome-Center und nach zwei großen Bechern «Earl Grey» mit Zucker und Sahne, wurde ich wieder ein Mensch. So ist es eben, auch mit 71 Jahren und unzähligen Rennbesuchen war ich der Arsch und hätte es ganz sicher besser wissen müssen.

Für viel Geld kaufte ich mir eine TT-Jacke und eine TT-Bommelmütze und saß 14:00 Uhr wieder auf meinem von Phil geschenkten Ehrenplatz auf der Start ¿und Zieltribüne. Was soll ich sagen, die Klasse bis 500 ccm hatte unglaubliche 135 Starter im Programm und die waren tatsächlich alle da.

Das veranlasst mich dazu, hier ein Wort zur Organisation einer solchen Riesenveranstaltung zu sagen. Also ein Fahrerlager, dass einer kleinen Stadt gleicht und freien Eintritt für Zuschauer gewährt, konnte ich in vier Tagen nicht vollständig besichtigen.

Alle Marschalls und davon gibt es hunderte, sind immer ansprechbar und helfen sofort, obwohl sie für einen Hungerlohn diese 14 Tage ihren Dienst von früh bis spät ableisten. Ach so, dass Rennen ist aufgeteilt in sieben Tage Training und sieben Tage Rennen. Das heißt, es immer ein Tag Training und ein Tag Ruhe, dass muss so sein weil bei Regen nicht gestartet wird. Damit kann die Rennleitung die Tage verschieben und sich die sicheren Tage zum befahren der Rennstrecke aussuchen. Zu meinem Erstaunen war dann am Sonntag vollkommen Ruhe angesagt und auf meine erstaunte Frage «Warum»-bekam ich die genauso klare Antwort:

Da gehen wir alle in die Kirche!

Kaum vorstellbar war auch das Vorgehen der Marschalls in der Pause zwischen den Rennen. Immer nach jeden Rennen kommt ein Marschall in gelber Montur mit einem Motorrad (Suzuki 1200) und nach genau fünf Minuten der Nächste wieder auffällig in Gelb, aber gemäßigtem Tempo und bleibt stehen, sobald er entdeckt, dass eine Zufahrtsstraße zur Rennstrecke noch nicht geöffnet ist. Dann können alle Anwohner und Gäste die Rennstrecke in beide Richtungen befahren.

Das dabei links vor rechts geht, das ist schon gewöhnungsbedürftig, aber nach ein paar Tagen bin ich dann auch wie die Einheimischen auf dem Fußweg links gelaufen. Na ja Fußweg, denn gibt es auf der Insel während der Renntage eigentlich gar nicht mehr, denn die Bürgersteige sind ganz und gar zum Parkplatz für tausende von Motorrädern aus aller Welt reserviert. Die Fußgänger müssen dann auf der Fahrbahn laufen und die Autos halten an und warten bis man eine Lücke zwischen den Autos gefunden hat. Also alles beruht auf gegenseitiges Verständnis und es funktioniert hervorragend.

Genauso erstaunlich ist das Fahren mit der Horse-Tram mitten durch die Stadt. Diese Art Straßenbahn fährt ganz normal auf Schienen, wird aber von einem Pferd(!) gezogen. Die Tageskarte kostet 3 englische Pfund, das sind 4,80 € und damit kann man den ganzen Tag in Douglas mitfahren. Immer wenn diese Horse-Tram an einer Bushaltestelle anhält, halten auch alle Autos von beiden Seiten an und warten bis die Fahrgäste wahlweise nach rechts oder links ausgestiegen sind.

Es ist eben alles ein wenig anders, besonders wenn man ein Motorrad fährt. Da bleiben sogar die Fußgänger auf dem Zebrastreifen stehen und winken den «Biker» durch und umso größer das Motorrad, umso größer ist das Ansehen.

An dem Tag, als die erste Rennpause anstand, habe ich mich darum bemüht, dass ich irgendwie mal eine Runde auf dem wohl berühmt und berüchtigten Kurs mitfahren konnte. Meine netten Hotelbesitzer telefonierten kurz und ich hatte 3.30 pm eine Fahrt mit dem IOM Trike Tours gebucht. Dann mit der Horse-Tram zum Hafen und dann begann eine Fahrt und eine Freundschaft die ich wohl nie mehr im Leben vergessen werde. Henry, so ist der Vorname von meinem Trike-Fahrer, der mir den TT-Kurs in einer Art und Weise nahe brachte, wie es bestimmt wenigen deutschen Besuchern möglich ist. Ich zeigte ihm nur ein Bild von mir auf dem Sachsenring mit der MZ-RE 125 und das Eis war gebrochen. Er schwärmte in den höchsten Tönen von Alan Shepherd und der Werks-MZ, wie er es als junger Mann miterlebt hatte und nie mehr vergessen wird.

Eben dieser Henry verblüffte mich mit einem unglaublichen Wissen über die Geschichte der TT und über die Kenntnisse zu den einzelnen Fahrern. Wer weiß denn heute noch an welcher Stelle auf der TT, der damalige Widersacher von Ernst Degner, Tom Phillis 1962 seinen schweren Sturzverletzungen erlag. Dann hatte Henry die nächste Überraschung für mich bereit, an der berühmten Ballaugh Bridge, wo die Fahrer immer so weit springen, hielt er sein Trike an und nahm den Helm ab. Nach meiner Frage warum, ging er einige Meter zu einer Hauswand, an der eine Metalltafel angebracht war. Es war die Gedenktafel für den 1939 dort tödlich verunglückten BMW-Fahrer Karl Gall. Mensch sind wir Deutschen bekloppt, wenn ich nur an die Diskussionen über den Guthrie-Gedenkstein am Sachsenring denke, kommt mir die Galle hoch. Wir müssen ja nicht alle so wie die Leute auf der Insel sein, aber ein wenig mehr Bewahrung der Tradition würde uns bestimmt gut tun.

Dann drückte Henry mit 120 MPH gleich ca. 190 Km/h ganz schön auf die Tube und raste mit mir die berühmte «Veranda» entlang. Ganz wohl war mir dabei nicht und ich war ganz froh als wir am Joe Dunlop-Memorial ankamen. Dort haben die «Manx» ihrem Joe ein Denkmal hin gestellt, das von Fans aus der ganzen Welt aufgesucht wird. Es ging mir ganz schön unter die Haut, als ich dort erwachsene Männer weinen sah. Mit Hilfe von unserer Serien-Fotografin Silva, konnte ich ihn 2007 Tallinn besuchen und habe dort an der Unglückstelle von Joe Dunlop ein paar Blumen nieder gelegt. Der sechsundzwanzig (26!) fache Sieger eines Rennens auf der TT, stürzte bei einem Einladungsrennen in Tallinn so unglücklich, dass er noch am Unfallort verstarb. Als ich das Henry erzählte, gab er mir ganz ergriffen die Hand und war ganz gerührt. Dann ging die ganze Fuhre weiter nach Ramsey, durch die schlimme Ramsey-Hairpin (Haarnadel) und weiter über Gooseneck zum Guthrie-Memorial. Dort natürlich die gleiche Zeremonie mit Helm ab und Gedenkhaltung für einen großen Rennfahrer, der bei uns am Sachsenring sein Leben verlor. Dann durch Bungalow und die Windy Corner zu Keppel Gate und weite hinunter zur Brandish Corner. Bei Governor`s Bridge wurde dann mein Sitzplatz für die nächsten Tage bestellt und dann kam endlich Grand Stand (so heißt dort Start und Ziel) in Sicht.

Ein wenig froh war ich schon, wieder heil angekommen zu sein. Wahrscheinlich hat mir das Henry angemerkt und machte mir ein «unseriöses Angebot» für die nächsten Tage. Die erste Tour hatte offiziellen Charakter und kostete 100 Pfund gleich 140,-€. Henry bot mir an, dass er mit mir nach Feierabend für 10,- Pfund für die Versicherung, jeden Abend eine extra Runde drehen würde. Wer kann da schon «NEIN» sagen, gelernt habe ich die TT dadurch ein wenig besser, aber auf ein Rennmotorrad kriegen mich dort keine zehn Pferde.

Natürlich werde ich auch 2015 versuchen wieder dort als Gast dabei zu sein, schon um mich wieder mit Henry, Frank, Jimmy, Paul und Pauline zu treffen. Versprochen habe ich es ihnen, obwohl im Umkreis von 50 Kilometern kein freies Bett mehr zu bekommen sein wird, aber Pauline hat versprochen zu helfen, auch wenn noch ein paar verrückte «Ossis» mitkommen wollen.

Übrigens, dieses Wahrzeichen mit den drei Beinen, hat eine ganz einfache Erklärung. Die stolzen Menschen von der Insel sagen:

Ein Manx kommt immer wieder auf die Beine, man kann ihn hin werfen wo man will.

Euer Stromhardt

ADAC Historic Cup Ost - HAIGO